Zusammenfassung der Ansprache von Nationalrat Daniel VISCHER

 

NR D.V. bedankt sich für die Gelegenheit vor dieser wichtigen Runde gehört zu werden.

Kurz zu seiner Historie: verheiratet, stammt aus Basel aus einer protestantischen Familie und trotz Kirchenaustritt in den 68er Jahren hat er kein gestörtes Verhältnis zur Religion und hält diese für ein wichtiges, zentrales religiös-spirituelles Element im Leben.

 

Die Muslime sollten wissen, dass die Diskussion, in welcher sie sich jetzt befinden, die Anfeindungen, welchen sie zurzeit ausgeliefert sind, vor nicht allzu langer Zeit eine innerchristliche Auseinandersetzung in der Schweiz war – und diese Kultur der Auseinandersetzung zur Schweizerischen Identität gehört. Ging doch die Schweizer EIDGENOSSENSCHAFT aus einem Bürgerkrieg zwischen Protestanten und Katholiken hervor.

 

Als zentrales Motiv seines politischen Handelns erachtet er die Bewahrung und Achtung  der Weltreligionen in ihrer grundsätzlichen Gleichwertigkeit.

 

Doch gab es im Westen immer schon Persönlichkeiten, welche den Religionen diese Position zugedachten, wie z.B. J.W.v. Goethe oder E. Lessing, u.a.

 

Die Schweiz IST eine Einwanderungsgesellschaft, will dies allerdings noch nicht wahrhaben. Aufgrund der Geburtenschwäche (deutlich unter 2 – mindestens 2,1 wäre erforderlich) ist die Schweiz nicht einmal in der Lage die eigene Sozialversicherung zu tragen. Diese Realität wird aber noch nicht vom gesamten Politspektrum in der Schweiz erfasst. Und „WAS IST EIN SCHWEIZER?“ diese Frage kann nicht mal von den Politikern beantwortet werden, die das Schweizertum in die Mitte ihrer politischen Agitation setzen.

 

Natürlich gibt es Probleme in z.B. der Schule, durch „neue Bürger“ verursacht, diese Probleme sind aber nicht auf die Religionszugehörigkeit festzumachen.

 

Es gibt also noch keinen politischen Konsens über den Status der Schweiz als Einwanderungsland – und das schlägt sich in der politischen Landschaft nieder. Dennoch darf davon ausgegangen werden, dass dieser Sturm, der zurzeit auf die muslimische Gesellschaft niedergeht, in 10-20 Jahren auf ein normales (Wind)Maß zurückgegangen sein wird. Man möge sich der Situation vor 20-30 Jahren erinnern, als gegen die italienischen und spanischen Einwanderer ähnlich agitativ, wie heute gegen die Muslime vorgegangen wurde und die so genannte „Schwarzenbachinitiative“ nur ganz knapp verworfen wurde, die zur Folge gehabt hätte, dass tausende Einwanderer das Land wieder hätten verlassen müssen.

 

Grundsätzlich darf man aber unvoreingenommenerweise sagen, dass, abgesehen von vereinzelten Kampagnen einzelner Politiker, die Schweiz eher ein Erfolgsmodell als eine Katastrophe in Sachen Integration darstellt. Die Akzeptanz der Bürger ausländischer Herkunft ist weit grösser, als dies in den Medien dargestellt wird – und diese Lebensrealität ist der Ausgangspunkt weiteren Handelns und Spannungen, auch innerhalb der gleichen Gemeinschaft sind – menschlich und damit müssen letztlich wir alle lernen umzugehen.

 

D.V. bringt seine Hochachtung vor dem Islam als eine große Tradition zum Ausdruck und verweist auf Botho Strauß, der denkt, dass der Westen deswegen mit dem Islam seine Mühe hat, weil dieser eine gewisse Spiritualität aufweist und fortführt, die dem Westen verloren ging.

Spiritualität ist eine große Stärke und Notwendigkeit im Leben der Menschen, die im Islam, von den Muslimen auf eine beeindruckende Weise verwirklicht wird, die der Westen zur Kenntnis nehmen sollte.

 

Der Islam solle aber auch die anderen Religionen als gleichwertig ansehen, denn nur über die Anerkennung der Gleichwertigkeit sei der „Clash of Civilisations“ vermeidbar.

Die Welt der Zukunft wird nicht kapitalistisch, westlich werden. Alle werden aufeinander Einfluss nehmen (müssen). Und dies ist auch eine Frage für die Innenpolitik der Schweiz.

Man muss gegenüber dem anderen nicht unbedingt Zuneigung entwickeln, doch muss man ihm zubilligen, (s)einen eigenen Weg des „Emanzipationsprozesses“ zu gehen.

 

Man kann ja in den letzten 5 Jahren die Entwicklung beobachten, dass die einen unter Integration „Assimilierung“ verstehen und damit eine völlige Aufgabe der eigenen Identität und Unterordnung verlangen und die anderen eine Vermischung von Religion und Tradition zulassen und mehr oder minder sagen: „Wir akzeptieren Euch, aber ihr müsst unsere Werte übernehmen“.

 

D.V. hat 1993 das Mädchen juristisch vertreten, welches die Suspendierung vom Schwimmunterricht einklagte. 1993 hat das Bundesgericht dieses Urteil letztlich bestätigt – ein Urteil, das gerade heute wieder schwer in Frage gestellt wird.

Es fusst auf der Begründung, dass die Religionsfreiheit dann vorgeht, wenn nicht wesentliche Bestandteile des „ordre public“ gestört werden.

Diese Differenzierung in Bezug auf Sonderstatus und Gleichberechtigung ist eine wichtige Frage, für alle Religionen. Und dieses problem müssen die Religionsgesellschaften selbst lösen.

D.V. Standpunkt, auch gegenüber seinen Kollegen in der Politik ist: „Respektiert die Eigendynamik anderer Gesellschaften und greift nicht in Familienstrukturen ein.

Dieser Standpunkt wird allerdings nicht leicht mitgetragen, weder von der Politik, noch vom Schweizer Bürger.

 

Der Islam vertritt eine konservative Position – und dies ist legitim, doch werden die Mitglieder der muslimischen Gesellschaften nicht um eine Diskussion herumkommen, wie die Erfordernisse der immer schneller sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen und Realitäten in die eigene Lebenswelt integriert werden können. Diese Veränderungen gingen schneller, als dies der eine oder andere gerne wahrhaben möchte, wie dies jeder an seinen Kindern erkennen könne.

 

Die Muslime sollen dieser Problematik mit offenen Augen entgegentreten und sich um deren Bewältigung bemühen.

Auch die Schweizer Bevölkerung brauchte sehr lange, um sich zu konsolidieren und D.V. spricht sich dafür aus, dass JEDE Gesellschaft die Möglichkeit haben muss, seine Strukturen selbst zu entwickeln, denn wer seine Kraft im eigenen Bereich nicht zum konstruktiven Einsatz gebracht hat, wird in der sozialpolitischen Auseinandersetzung nicht kräftig genug, um erfolgreich zu sein.

 

Die Theorie des „melting pots“ führe zu einer Entsozialisierung der Gesellschaftenund sollte daher nicht ernsthaft vertreten werden.

 

Die verantwortungsvolle Aufgabe der Imame wurde gewürdigt und diese ermutigt, den Prozess der Strukturentwicklung innerhalb der eigenen Gesellschaften problem- und zeitbewusst voran zu tragen.

 

Im Anschluss wurden noch die vorgetragenen Anliegen besprochen und vereinbart, dass diese von Daniel Vischer und GSIW weiter bearbeitet werden.

 

Dieses Protokoll wurde verfasst von Muhammad Hanel


Einführende Worte von Yasar ÖZDEMIR –

Präsident Föderation Islamischer Gemeinschaften

 

As Salaamu alaikum wa Rahmatullahi wa Barakatuh

 

Sehr geehrter Herr Nationalrat Daniel Vischer, sehr geehrte Herrn Imame, liebe Brüder im Islam

 

Gerne haben wir die Initiative von GSIW aufgegriffen, nach dem Treffen der Imame bei Dr. Ledergerber dem Zürcher Stadtpräsidenten, diese Treffen der Imame in unserer Moschee weiter abzuhalten – wozu wir Sie alle sehr herzlich willkommen heißen.

 

Besonders freuen wir uns heute Herrn Daniel Vischer, Schweizer Nationalrat, Angehöriger der Partei der Grünen in unserer Mitte herzlich begrüßen zu dürfen. Herr Daniel Vischer ist aktives Mitglied bei GSIW und hat sich in dieser Eigenschaft der Aufgabe verschrieben, die Islamische Welt und die Schweizer Gesellschaft näher miteinander vertraut zu machen.

 

Unser heutiges Treffen ist ein weiterer Schritt auf diesem Weg, auf welchem der persönliche Austausch, das engagierte Vermitteln von Anliegen, Anregungen und Fragen und das Kennen lernen zwischen Muslimen und offiziellen Vertretern der Schweizer Gesellschaft einen wertvollen Beitrag zu einem besseren Verständnis der Bürger in der Schweizer Eidgenossenschaft leisten sollen. Ich hoffe es wird nicht das letzte Treffen dieser Art, sondern eine vor allem breitere Fortsetzung eines gemeinsamen Weges, der von einigen wenigen in der Schweiz schon vor langer Zeit begonnen wurde.

 

Wir, die Islamische Föderation möchten unsere Anliegen, Ideen und Projekte - vor allem zum Wohle unserer Kinder und Jugendlichen wie folgt definieren, hier einer breiteren Öffentlichkeit vorstellen und die Anwesenden ganz herzlich dazu einladen, Ihre Vorstellungen mit uns zu teilen, WIE wir diese Projekte und Anliegen GEMEINSAM auch realisieren und umsetzen können. Sind wir doch überzeugt, dass unsere Anliegen auch die anderer muslimischer Gemeinschaften sind und deren professionelle Umsetzung, in ordentlicher Kooperation mit massgeblichen Kräften der Schweizer Gesellschaft sich insgesamt positiv auf die gesellschaftspolitische Entwicklung in der Schweiz auswirken werden.

 

1. Bessere Aufenthaltsbewilligungsregelung für unsere Imame

 

Ohne eine, über die Zeit kontinuierliche religiöse und spirituelle Betreuung unserer Gemeinschaften durch ordentlich ausgebildete Imame ist ein gedeihliches Gemeindeleben nicht möglich.

Wir haben Ansätze für die Lösung dieser Problematik entwickelt, die darauf ausgerichtet sind, alle, bisher einer zufrieden stellenden Lösung entgegenstehenden Einwände zu entkräften. Wir ersuchen Hr. Vischer sehr herzlich sich dafür einzusetzen, dass wir die Möglichkeit bekommen, dieses Konzept, den dafür massgeblichen Schweizer Gremien zur ernsthaften Begutachtung vorzulegen und mit ihnen zu besprechen.

 

2. Gründung eines Jugendzentrums (Treffpunkt)

 

Um unsere Jugendliche nicht vermehrt, aus bekannten Gründen "an die Strasse" zu verlieren, wenn ich mich so ausdrücken darf, erachten wir es als höchst erforderlich, ein Freizeitzentrum für Jugendliche einzurichten oder wenigstens ein bestehendes so in seiner Struktur anzupassen, dass die Bedürfnisse für muslimische Jugendliche unserer Zeit erkennbar und spürbar berücksichtigt werden.

 

Es bedarf in unserer pluralistisch ausgerichteten Gesellschaft vor allem für Jugendliche einen Ort, an welchem sie die Gelegenheit bekommen in freien und doch geregelten Meinungs- und Erfahrungsaustausch miteinander zu treten.

 

Die Muslime, vor allem die jüngeren unter uns, bedürfen eines Zentrums - unabhängig von der Zuordnung zu einer bestimmten muslimischen Gruppe oder Organisation in welchem auch ihre soziale Fragen besprochen und Veranstaltungen organisiert werden können. Ich denke an Hochzeiten, Konferenzen, Theateraufführungen, Kulturveran­stal­tungen oder Sport - natürlich sollen auch Gebet und Unterricht oder Reiseor­gani­sationen, z.B. nach Mekka nicht vergessen werden, genauso wenig wie Nachhilfeunterricht für die Schule oder karitative Sammlungen für Bedürftige Menschen im In- und Ausland.

 

Dafür bedarf es aber professionellen Vorgehens und der Beteiligung ausgebildeter Pädagogen und Sozialarbeiter und der Beteiligung und Kooperation der Schweizerischen öffentlichen Hand mit jenen Muslimen in der Schweiz, welche neben qualifizierter Ausbildung, auch umfassende Einsicht sowohl in Verhältnisse und Bedingungen der Muslimischen wie auch der Schweizer Gesellschaft mitbringen.

Auch in diesem Falle appellieren wir an unseren hoch geschätzten Gast, Herrn Nationalrat Daniel Vischer, uns mit jenen Stellen in Kontakt zu bringen, mit welchen wir solch ein Projekt besprechen und zur konkreten Umsetzung voranbringen können.

 

Ich denke, damit habe ich uns bereits genug Arbeitsaufgaben für uns vorgelegt, bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und übergebe nun das Wort an  Muhammad Hanel.

 

 

 

 

 

 


As Salamu alaikum wa Rahmatullahi wa Barakatuh

 

Sehr geehrter Nationalrat Daniel Vischer, sehr geehrte Herrn Imame, liebe Brüder im Islam

 

Herzlichen Dank, dass Sie der Einladung zu unserem zweiten Imamentreffen, der Fortsetzung unserer Begegnung beim Zürcher Stadtpräsident Dr. Ledergerber gefolgt sind und Jazzakhallah Chairan, ein aufrichtiges „Vergelt’s Gott“ an unseren Gastgeber – der Föderation Islamischer Vereine in der Schweiz -  die uns heute Unterkunft gibt.

 

Das Ziel unseres heutigen Treffens ist es, nicht nur unsere Eindrücke aus dem Ersten Imamen-Treffen im Stadthaus gemeinsam weiter zu verarbeiten, sondern auch den Dialog mit Vertretern der Schweizer Politik zu vertiefen. Dies vor allem mit der Absicht, die Erwartungen der Schweizer Politik an die Muslime zu erfahren und andererseits unsere Erwartungen an die Schweizer Politik zu übermitteln.

 

Aus diesem Grunde möchten wir Sie bitten, im Anschluss ihr wichtigstes Anliegen an die Schweizer Politik zu formulieren, von welchem Sie wünschen, dass dieses gemeinsam mit den Muslimen vorrangig hier in der Schweiz bearbeitet wird. Diese Anliegen werden wir protokollieren und an alle heute hier Anwesenden ausschicken und sie bitten, dann Ihre eigenen Beiträge zur Erledigung dieser Anliegen dazu mitzuteilen und an die GSIW zurückzusenden. Eine Zusammenfassung dieser Protokolle werden wir dann gemeinsam mit Nationalrat Vischer besprechen – den ich nun ganz herzlich in unserer Mitte begrüßen möchte – und danach werden wir einen Vorschlag der Strategie des weiteren Vorgehens an Sie alle weiterleiten.

 

Kurz noch:

 

Damit Sie die persönliche Position von Daniel Vischer zu Islam, Muslimen und Integration in der Schweiz erfahren und später nachvollziehen können, haben wir Ihnen eine seiner diesbezüglichen Stellungnahmen mitgebracht und weiter ausgedruckt.

 

Unsere Anliegen (von GSIW):

1.      Gründung von Schulpartnerschaften zwischen muslimischen und nichtmuslimischen Kindern an Schulen mit entsprechend hohem Anteil an muslimischen Kindern.

2.      Mehr und v.a. regelmäßiger Kontakt zwischen den Imamen und

3.      gemeinsame Ausarbeitung der Freitagsansprachen in deutscher Sprache – Verteilung ev. über Fatih Dursun (sprachliche, administrative Unterstützung der GSIW dabei ist zugesagt).

 

Um gesellschaftspolitischen Erfordernissen unserer Zeit hier in der Schweiz zu entsprechen, neue Wege im Geiste „integrativer Kooperation“ für Menschen islamischer Überzeugung begehbar zu machen und gemeinsam mit kompetenten Kräften aus Politik und Medien zeitgemäße Antworten auf sozialpolitische Fragen, auch solcher, offensichtlich provokativer Natur zu entwickeln, beabsichtigt GSIW (Gesellschaft Schweiz – Islamische Welt) einen regelmäßig einzuberufenden „Runden Tisch“ mit dem Namen „ISLAM im GESPRÄCH“ einzurichten. Dabei soll mit Vertretern der verschiedenen Schweizer Parteien islamrelevante, von politischer Seite in die Öffentlichkeit getragenen Bedenken, Befürchtungen, Anwürfe oder dergl. offen besprochen und einer Fassung zugeführt werden, welche durch entsprechende öffentliche Bekanntmachung dem sozialen Frieden in jedem Falle zuträglicher sind, als das meist unausgegorene Ausleben wenig überlegter, bloß reaktiver Entgegnungen, Stellungnahmen oder dergleichen, von welcher Seite diese auch immer kommen mögen.

 

Jetzt möchte ich Nationalrat Daniel Vischer um sein Wort bitten, um seine wesentlichsten Anregungen, Anliegen und Fragen, die er und seine Polit-KollegInnen an die Muslime haben, uns hier vorzustellen.  Daniel Vischer – herzlich willkommen!

 

 

 

Keine Integration als Bevormundung

Stellungnahme von NR Daniel VISCHER

Bei der Auseinandersetzung mit dem Islam geht es nicht darum, was wir als Nicht-Muslime vom Islam halten. Dennoch lohnte es sich Goethe's westlich östlichen Diwan zu lesen, hat er doch weit wertvolleres beizutragen als die meisten Islamexperten. Es geht um die Anerkennung der Gleichwertigkeit aller Weltkulturen ohne wenn und aber, ohne welche die Verständigung - global und inländisch scheitert.
In der Schweiz leben derzeit gegen 400'000 Menschen, die sich zum Islam bekennen, Darunter eine beträchtliche Zahl Schweizerinnen und Schweizer. Der Islam ist die drittgrösste Religion und wird dies auch auf absehbare Zeit bleiben, sein Gewicht wird fraglos zunehmen. Das beunruhigt. Schon sehen einige das Abendland in Gefahr. Während die spirituelle Kraft der beiden christlichen Landeskirchen abnimmt, verunsichert die unübersehbare religiöse Präsenz des Islams.

Dabei gestaltet sich das Zusammenleben zwischen Muslimen und den übrigen Zeitgenossen in der Schweiz weit problemarmer, als immer wiederkehrende Konflikte annehmen liessen. Vor allem aber: Probleme, die wir als solche des Islams orten, sind unser Problem.

So ist die Kopftuchdebatte beredtes Beispiel für eine Krise des Laizismusdiskurses, denn auf den Laizismus berufen sich sowohl Befürworter - der französische Premier Jacques Chirac - wie auch Gegner - Bundesrat Pascal Couchepin. Letztlich stehen sich zwei Grundströmungen gegenüber:
Die eine sieht die Liberalität der westlichen Gesellschaften - vor allem ihr säkulares Verständnis - durch den Islam bedroht - (viele so genannte Islamexperten), die andere misst Liberalität gerade an der Fähigkeit, die Andersartigkeit des Islams zu akzeptieren, solange der ordre publique nicht tangiert ist.
Unser bisheriges Verfassungsverständnis beruht fraglos auf der zweiten Position, eindrücklich nachzulesen im so genannten Schwimmunterrichtsbundesgerichtsentscheid von 1993, der nun von allen Seiten her in Frage gestellt wird - wozu es allerdings gar keinen Anlass gibt. Er gewichtete Religionsfreiheit höher als den Schwimmunterricht. Das wäre im Falle des Mathematikunterrichts im Übrigen nicht der Fall gewesen. Und vor allem unterscheidet er zwischen Assimilation und Integration.
Genau diese Differenz wird nun je länger je stärker vernebelt. Oft meint, was Integration propagiert, in Wirklichkeit Assimilation: natürlich sei der Islam zu respektieren, aber nur in den Grenzen unserer eigenen Wertvorstellungen, als "westlicher Islam" - kemalistisch. Was meint Saida Keller (vgl. TA vom 23. Februar.), wenn sie verlangt, der Islam müsse sein eigenes Weltbild hinterfragen? Das müssen ohnehin alle in einer globalisierten Welt, nicht zuletzt der Westen. Soweit sie dies als Muslimin sagt, ist das Teil eines innerislamischen Diskurses.

Der Staat und seine Institutionen hingegen haben sich nicht in die Lebensführung der Einzelnen einzumischen, das machen sie zu recht anderen Religionen gegenüber auch nicht. So darf das Tragen eines Kopftuches nicht zum Hindernis einer Einbürgerung werden, welches Menschenbild auch immer dahinter vermutet wird. Dass Muslime ihre eigenen Friedhöfe erhalten, halte ich für einen selbstverständlichen Ausfluss unserer Religionsfreiheit wie den Bau von Minaretten.
Mein grösster Einwand gegenüber den meisten Integrationsbekundungen liegt aber im Verkennen, dass jede Religion nur ihren je eigenen Weg der Emanzipation beschreiten kann. Jeder Zwang von aussen wird diese Empanzipation behindern und nicht fördern. Ich halte es für eine Illusion zu meinen, hätte das Bundesgericht 1993 anders entschieden, hätte dies die Position der Gleichstellung in islamischen Familien gestärkt. Die Forderung, der gläubige Muslim müssen sich an unsere Gesetze halten, ist demnach nichts als banale Selbstverständlichkeit, deren ständige Repetition zu Unrecht suggeriert, die Muslime hätten besondere Probleme damit.
Die Institutionen des Islams verdanken ihren verstärkten Zulauf fraglos zunehmender sozialer Ausgrenzung, von der im Übrigen alle Migrantengruppen betroffen sind. Den Leuten nun aber zu sagen, damit ihre soziale Stellung in Lehre oder Beruf verbessert werde, müssten sie sich punkto Glauben zurücknehmen, ist nicht nur wirklichkeitsfremd - es ist arrogant. Integration muss sich mithin auf soziale Integration beschränken, vor allem bezüglich Schule und Lehre. Jede Form von Gesinnungsintegration ist abzulehnen. Erstere wird gerade dadurch gestärkt, dass einer Minderheitenkultur eine gewisse Gettoisierung zugebilligt wird, die zur Eigenstärkung ihres religiösen und kulturellen Selbstverständnisses beiträgt.
Je mehr auch die Schule sich bemüht, islamischen Kindern in der eigenen Religion und Kultur zu unterrichten, umso mehr mindert sie die Spannung zwischen Elternhaus und Schule und stärkt damit die Stellung der Kinder. Der Kampf zwischen Tradition und Moderne ist kein Problem, dass sich auf den Islam beschränkten würde. Die Schweiz hat genug andere Konflikte, die sie weit angestrengter angehen müsste, als sie dies derzeit mit den Bemühungen um Integration von Muslimen tut.                                                                                            

Daniel Vischer