Marginalien zum Karikaturenstreit

Daniel Vischer

 

Natürlich haben Karikaturisten einen Spielraum der Brüskierung. Natürlich ist sie gedeckt durch die Meinungsäusserungsfreiheit. Aber es besteht ein Unterschied zwischen Karikatur und gezielter Diffamierung. Darum geht es im Karikaturenstreit. Was mit rassistischen Motiven daher kommt, darf und muss im hiesigen politischen Diskurs entsprechend gewürdigt werden. Wenn es die dänische Regierung unterliess, sich rechtzeitig von den Karikaturen zu distanzieren, tat sie das fraglos mit Bedacht. Es gehört zum Spiel ihrer gezielten Ausgrenzungsversuche des Islams. Die rechtslastige Zeitung, die diese unbestritten dürftigen Karikaturen veröffentlichte, gehört zur gleichen politischen Familie. Ihr ging es nie um Blasphemie – im Sinne Bunuel’s der eigenen Religion gegenüber -, sondern einzig darum, die muslimische Gemeinschaft vor den Kopf zu stossen. Sie wurde qua ihren Propheten zu Terroristen ex origine erklärt. Die, die dann nachdoppelten – Welt, Blick u.a. - und so taten, als seien sie die heroischen Wahrer der abendländischen Tradition der Meinungsäusserungsfreiheit, agierten im gleichen Spiel, unabhängig ihrer sonstigen politischen Positionierung.

 

In Frage steht die Äusserung unserer Kultur gegenüber einer Religion einer anderen Kultur, deren Empfindlichkeit bekannt ist. Nur weil in der christlichen Kultur inzwischen Blasphemie kaum noch auffällt, können wir die Prinzipien unserer säkularen Gesellschaft nicht einfach zur Weltgeltung erklären. Dadurch, dass der Anteil gläubiger muslimischer Menschen in vielen westeuropäischen Ländern eine beachtliche Grösse erreicht hat, ist der Laizismusdiskurs des letzten Jahrhunderts so etwas wie an seine Grenze gestossen, wie bereits die Kopftuchdebatte zeigt. Dabei stehen sich zwei Grundströmungen gegenüber: die eine sieht die Liberalität der Gesellschaft durch den Islam bedroht, die andere misst sie gerade an ihrer Fähigkeit, die Andersartigkeit des Islams zu anerkennen und dessen Selbstbestimmungsrecht zu akzeptieren, solange der ordre publique nicht tangiert ist. Begreifen wir den Islam als geschlossenes System – als System des Systems Religion -, das auf seiner eigenen Autopoiesis beruht, erhellt daraus, dass zwar Irritationen unserer Kultur Auswirkungen haben werden, jeder Versuch eines Oktroy’s indessen scheitern muss. Vielleicht wird sich diese Einsicht beschleunigt durchsetzen, was im Kern in der Anerkennung münden muss, jede Weltkultur und Weltreligion könne nur den eigenen Weg der Emanzipation gehen. Das hat sich auch mit der Globalisierung nicht geändert, im Gegenteil stösst diese gerade dort an ihre Grenzen, wo das westliche Wertesystem Globalgeltung beansprucht und die Existenz gleichwertiger Weltkulturen und Weltreligionen negiert. Es war deshalb immer ein Missverständnis zu meinen, mit der Globalisierung verwirkliche sich ein „Projekt der Aufklärung“ oder wüchsen mindestens die Chancen hierfür, was seit Bush freilich ohnehin niemand mehr glaubt.

 

Angesichts des sich ausbreitenden Flächenbrandes hat freilich der Diskurs über den Vorrang der Meinungsäusserungsfreiheit seinen Höhepunkt längst überschritten und es wird nach Mässigung und Dialog gerufen, auch wen das einige noch nicht begriffen haben, wie es scheint die hiesige FdP oder lange Zeit Frau Merkel. Es wäre indessen vereinfacht zu meinen, dieser Flächenbrand, der teilweise eine unheilvolle Eigendynamik nahm, habe nur mit der Karikatur zu tun.

 

In ihm kumulieren gleichzeitig andere Motive, die für die muslimischen Massen als Demütigung durch den Westen empfunden werden: amerikanische Invasion in den Irak, Atomstreit mit dem Iran, das Anhalten der Besatzung Palästinas, das de facto Nichtanerkennen des palästinensischen Wahlresultates durch die USA und Westeuropa, aber natürlich auch die zunehmende antiislamische Stimmung in Westeuropa, die in der Schweiz sogar vielleicht noch am wenigsten ausgeprägt auftritt. Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, was jene meinen, die nun von Deeskalation und Dialog sprechen, von Kofi Anan über Solana bis zu unserer Aussenministerin. Denn auch wenn die Eruption der Karikaturen wegen verebbt, die Narben sitzen tief. Der massenhafte muslimische Protest war eine tief empfundene Reaktion, ganz unabhängig davon, welche politischen Akteure im einzelnen daraus Kapital zu schlagen versuchten.

 

Echter Dialog kann aber nur heissen, die Grundlagen des Ressentiments gegenüber dem Westen zu beseitigen:

 

- Echter Friede in Palästina auf der Basis der geltenden völkerrechtlichen Eckwerten und UNO Resolutionen: neuer palästinensischer Staat auf dem gesamten Territorium der Westbank und des Gazastreifens mit Ostjerusalem als Hauptstadt, Rückkehrrecht für alle Flüchtlinge. Wer indessen weiterhin auf  die von Israel propagierte Zweistaatenlösung entlang der Mauer setzt, verhindert eine Lösung. Vor allem Europa muss endlich anerkennen, dass die Palästinenser an der Shoa keine Schuld tragen und das von ihnen erlittene Unrecht der massenhaften Vertreibung Rehabilitation verlangt.

- Mit dem Wahlsieg der Hamas hat die USA und Israel ihre eigene Politik eingeholt. Sie haben jahrelang auf politische islamische Bewegungen zur Schwächung national revolutionären Organisationen oder Staaten gesetzt, im Falle Palästinas vor allem der Fatah. Das beginnt sich nun zu rächen. Europa hätte heute eine Chance, zusammen mit Russland und China in Anerkennung der neuen Realitäten eine neue Rolle im Nahost Konflikt zu spielen.*

- Die inakzeptablen und unverantwortlichen Äusserungen des iranischen Präsidenten verdecken den eigentlichen Hintergrund des Konfliktes mit dem Iran. Weder der Iran noch die arabische Welt lassen sich vom Westen vorschreiben, wer Atomanlagen errichten darf und wer über eine Atombombe verfügen darf und wer nicht, solange Israel oder Pakistan unter Duldung des Westens diese besitzt. Der Westen wird nicht darum herumkommen, dies zu akzeptieren.*

- Die Anerkennung der Gleichwertigkeit aller Weltreligionen verlangt vorrangig auch die gegenseitige Achtung religiöser Tabuzonen. 

 

 

Daniel Vischer

 

 

*ich werde auf beide Themen in speziellen Artikeln zurückkommen.