JÜrgen TODENHÖFER analysiert
die Lage in Afghanistan IMHO korrekt - Hervorhebungen von mir.
mfg MMH
URL: http://www.tagesspiegel.de/meinung/kommentare/Afghanistan;art141,2609138
Afghanistan
Rambo reicht nicht
Schulen statt Bomben: Wenn die Nato in
Afghanistan nicht scheitern will, muss sie ihre Strategie fundamental ändern.
Kabul,
August 2008. Mit afghanischen Freunden sitze ich spätabends vor einem kleinen
Fernsehgerät. Bilder eines Bombenangriffs auf das Dorf Asisabad
bei Herat flimmern über den Schirm. Eine junge Frau
sitzt auf dem Boden und schluchzt: "Man hat meine drei Kinder getötet."
Ein Mann hält ein blutiges Kinderhemd hoch und sagt leise: "Das gehörte
meinem Sohn. Warum haben sie ihn getötet?" Ein Militärsprecher erklärt,
die US-Streitkräfte hätten bei Herat eine Taliban-Versammlung angegriffen und 30 Terroristen getötet.
Zivile Opfer habe es keine gegeben.
Wenig später telefoniere ich über einen Dolmetscher mit Gul
Ahmad, einem Bewohner Asisabads. Er erzählt, er habe
für seinen von den Koalitionstruppen getöteten Bruder die landesübliche
Gedenkfeier organisiert. Kurz nach Mitternacht sei das Dorf bombardiert worden.
Er habe 75 Verwandte verloren, auch seinen Sohn Amanullah.
Das jüngste Opfer sei sechs Monate, das älteste 90 Jahre alt gewesen. Aus den
Trümmern zerstörter Häuser habe man tote Frauen geborgen, die ihre leblosen
Kinder umklammerten, auf die sie sich schützend geworfen hätten. Kai Eide, UN-Missionsleiter
in Kabul, bestätigt einen Tag später den Tod von 90 Zivilisten, darunter 60
Kinder und 15 Frauen. Die USA dementieren weiter. Asisabad
ist kein Einzelfall.
Mitte August habe ich Afghanistan und Pakistan bereist und dort mit dem
afghanischen Präsidenten, Isaf-Offizieren, Ex-Talibanchefs und führenden Persönlichkeiten Pakistans
gesprochen. Alle waren sich einig, dass sich die Lage in Afghanistan dramatisch
verschlechtert habe. Fast immer wurden drei Gründe für den Wiederaufstieg
der Taliban genannt:
1. Das ramboartige Auftreten der US-Truppen, die keinen Respekt vor
der afghanischen Kultur zeigten. Bei Razzien würden Türen gesprengt, Zimmer
durchwühlt, Frauen abgetastet und Männer vor ihren Familien bloßgestellt. Wie
im Irak hätten sich die USA aus der Rolle des Befreiers in die Rolle des
Besatzers gebombt.
2. Das Nichteintreffen der Aufbauhilfe. Das gelte besonders für den paschtunischen Süden, die Heimat der Taliban.
Dort hätten sich die Verhältnisse überhaupt nicht verbessert. Die USA gäben
für Militäreinsätze zehnmal mehr aus als für den Wiederaufbau.
3. Die Korruption hoher Beamter und großer Hilfsorganisationen. Bei den
Menschen komme wenig an. Für einen 1500 Meter langen Metallzaun um den Kabuler Zarnigar-Park hätten ausländische Firmen 10 Millionen
Dollar abgerechnet. Nach Untersuchungen der Regierung sei er maximal 70 000
Dollar wert.
Die wichtigste Erkenntnis meiner Reise war: Mit globalem Terrorismus haben
die auf 30 000 Mann geschätzten Taliban- und Hezbi-Islami-Kämpfer sowie ihre kaum 1000 arabischen
Mitstreiter nichts zu tun. Sie sind nationale und regionale Widerstandskämpfer
und häufig brutal mordende Terroristen, aber keine global agierenden
Terroristen. Afghanistan und Pakistan sind längst nicht mehr operatives Zentrum
des globalen Terrorismus. Der Kampf der Taliban ist
ein innerafghanischer Aufstand gegen die afghanische Regierung und gegen die
Anwesenheit fremder Truppen. Ihr Ziel ist Kabul, nicht New York, Berlin, Madrid
oder London. Wer diesen nationalen und regionalen Widerstand mit globalem,
im Westen gegen den Westen gerichteten Terrorismus
verwechselt, kämpft immer die falsche Schlacht auf dem falschen Schlachtfeld.
Die mörderischen Taliban sind auch nicht wirklich
stark, sondern die afghanische Regierung ist schwach, weil die Strategie ihrer
westlichen Verbündeten falsch ist. Wer Guerillas mit Flächenbombardements
bekämpft, tötet stets auch Unschuldige. Das aber treibt den Rebellen immer neue
Kämpfer zu. Wenn die Nato nicht das Schicksal der Mongolen, Briten und Sowjets
erleiden will, die alle aus Afghanistan vertrieben wurden, muss sie ihre
Strategie ändern. Die Grundlagen einer effektiven Afghanistanstrategie lauten:
Mehr
Schulen statt Bomben. Die USA müssen ihre Bombardements und den Einsatz
schwerer Artillerie aufgeben. Auch eine Erhöhung der Zahl ihrer Truppen würde
nur die Zahl der Probleme, der Taliban und der Toten
erhöhen. Die Nato muss wieder Schutztruppe zum Wiederaufbau Afghanistans
werden. Das gilt auch für die Bundeswehr, die am Hindukusch
lange hohes Ansehen genoss. Kein führender afghanischer Politiker erwartet von
Deutschland ernsthaft mehr Truppen oder mehr Kampfeinsätze. Das sind
Forderungen westlicher Geisterfahrer, die am Hindukusch
die richtige Ausfahrt verpasst haben.
Ziel der westlichen Afghanistanpolitik kann nicht der Aufbau einer westlichen
Demokratie sein. Der neue afghanische Staat muss ein Rechtsstaat sein, der die
universalen Menschenrechte und damit die Rechte der Frauen achtet. Aber er muss
eine afghanische Seele und ein afghanisches Gesicht haben. Hierfür lohnt es
sich, endlich jene großzügige Entwicklungshilfe zu leisten, die der Westen nach
der Vertreibung der Taliban versprochen hatte.
Modellhaft sollte der Westen dort helfen, wo die Taliban
noch nicht Fuß gefasst haben, in Kabul, Wardak oder Herat. Ein "Marshallplan" für talibanfreie
Regionen hätte Ausstrahlung auf das ganze Land.
Nur Afghanen können Afghanen besiegen. Wir sollten ihnen hierzu die materiellen
Möglichkeiten geben. Ein afghanischer Soldat verdient im Monat 100 Dollar, ein
"Talib" mehr als doppelt so viel. Das ist
häufig ein entscheidender Grund, warum sich arbeitslose junge Männer den Taliban anschließen. Außerdem können sie sich dort rühmen,
sie kämpften gegen westliche Eindringlinge, während die afghanischen Soldaten
gegen Landsleute und Glaubensbrüder kämpfen müssen. Gegen beide Argumente kann
der Westen viel tun.
Afghanistans Präsident Karsai hat mehrfach erklärt,
er sei bereit, mit den Führern der Taliban zu
verhandeln. Die USA sollten ihren Widerstand dagegen aufgeben. Das gilt selbst
für Gespräche mit radikalen Führern wie Mullah Omar, Haqqani
oder Hekmatyar - nicht jedoch für Al Qaida. Diese
Gespräche sollten auch mit dem Ziel geführt werden, das Zweckbündnis zwischen
den afghanischen Taliban und den arabischen Al- Qaida-Kämpfern aufzubrechen.
Der aktuelle Versuch westlicher Politiker, Pakistan als Sündenbock für das
Scheitern ihrer Afghanistanpolitik aufzubauen, ist weder klug noch fair.
Zum Leidwesen der pakistanischen Regierung gibt es neben den afghanischen Taliban auch pakistanische Taliban,
die aus den Stammesgebieten heraus fast täglich schwere Anschläge gegen Pakistan,
ja sogar gegen dessen viel gescholtenen Geheimdienst ISI durchführen. Für
die pakistanischen Taliban ist die Regierung von
Islamabad Komplize der USA. Die pakistanische Armee hat inzwischen über 120
000 Mann in den Stammesgebieten aufmarschieren lassen - das ist so viel wie die
gesamte afghanische Nationalarmee und die Nato in Afghanistan zusammen. Sie
geht dabei mit oft großer Härte gegen die pakistanischen Taliban
vor. Mehr kann von Pakistan niemand verlangen.
Ein sofortiger
Abzug aller Nato-Truppen hätte chaotische Folgen. Erstrebenswert ist jedoch ein
stufenweiser Abzug in drei Jahren. Er sollte im Rahmen
der regionalen Friedenskonferenz und parallel zum verstärkten Aufbau der
afghanischen Sicherheitskräfte erfolgen. Zurückbleiben könnte eine kleine, stabile,
westlich-muslimische Friedenstruppe zur Absicherung des Wiederaufbaus des
Landes. Afghanistan gehört den Afghanen. Mittel- und langfristig haben
westliche Kampftruppen dort nichts verloren. Die Nato darf sich nicht
länger dadurch irreführen lassen, dass die Bush-Administration allen
Militäraktionen gegen Rohstoff-Länder das Etikett "Antiterrorkrieg"
aufklebt. Die "Operation Enduring Freedom" ist eine tödliche Mogelpackung!
Der 11. September 2001 wird nicht nur als eine der größten Tragödien
Amerikas in die Geschichte eingehen, sondern auch als Tag, an dem die westliche
Führung aus Solidarität mit den USA ihren Verstand ausschaltete. Weltweit mag
es hoch gegriffen 10 000 global agierende Terroristen geben, die - wie einst
die Hamburger Terrorzelle unter Mohammed Atta - im
Westen gegen den Westen agieren. Das wären weniger als 0,001 Prozent der 1,4
Milliarden Muslime.
Diese islamisch maskierten Globalterroristen haben und brauchen längst
keine Trainingslager mehr. Sie trainieren in kleinen Wohnungen und im Internet.
Sie leben nicht mehr vorrangig am Hindukusch, sondern
mitten unter uns. Mit jeder westlichen Bombe, die in Afghanistan oder im
Irak ein muslimisches Kind tötet, wächst ihre Zahl. Der globale
Terrorismus ist eine Ideologie. Ideologien lassen sich nicht in Schutt und
Asche bomben. Sie lassen sich nur durch eine faire und kluge
Doppelstrategie überwinden. Zentrales Motiv globaler Terroristen sind
die eklatanten Ungerechtigkeiten der westlichen Politik gegenüber der
muslimischen Welt sowie die völlige Hoffnungslosigkeit, diese legal zu
überwinden. Um diesen Ursprung des weltweiten Terrorismus zu beseitigen,
muss der Westen seine ungerechte Politik in Palästina, in Afghanistan, im Irak
und in anderen muslimischen Ländern fundamental ändern und die dort lebenden
Muslime so fair behandeln, wie er selbst behandelt werden möchte. Der
Versuch, die 0,001 Prozent globaler Terroristen mit Kriegen zu bekämpfen, wird
als größte politische Torheit in die Geschichte des 21. Jahrhunderts eingehen -
vielleicht aber auch als größte politische Lüge.
An einem der letzten Augusttage fahren wir von Kabul über den Hindukusch Richtung Pakistan. In einem alten Toyota-Taxi
geht es über den Khyberpass hinunter zum Grenzdorf Torkham. Dort müssen wir aussteigen und unser Gepäck auf
Schubkarren umladen. Die restlichen 500 Meter gehen wir zu Fuß. Wegen
Terroranschlägen ist die Straße für Autos gesperrt. Kurz vor der Grenze werde
ich von vier bewaffneten GIs aus der Menge herausgewunken.
Sie
fragen mich, was ich in Afghanistan gesucht hätte. Ich antworte, ich sei
Tourist. Überrascht starren die vier mich an. Ich frage zurück, was sie hier
suchten. "Das weiß ich nicht", antwortet ihr Wortführer. "Ich
weiß nur, ich hasse es." Dann gibt er mir mit seiner Maschinenpistole
ein Zeichen weiterzugehen.
Jenseits der Grenze mieten wir ein Taxi zur Fahrt durch die berüchtigten
Stammesgebiete. Auf einer holprigen Gebirgsstraße geht es vorbei an malerischen
Schluchten, durch jene Gegenden, die angeblich Rückzugsgebiet des weltweiten
Terrorismus und Versteck Bin Ladens sind. In der stickigen Hitze des
überbesetzten Taxis gehen mir noch einmal meine Begegnungen in Afghanistan
durch den Kopf. Ich denke an die Gespräche mit dem Leiter der staatlichen Versöhnungskommission,
der mir mitteilte, dass inzwischen 300 Afghanen aus Guantánamo
zurückgeschickt worden seien. Die Kommission habe alle Fälle sorgfältig
untersucht. Über 90 Prozent der Freigelassenen seien unschuldig gewesen.
Sie hätten weder bei den Taliban noch bei Al Qaida mitgekämpft. Man habe sie damals einfach mitgenommen,
um der Welt Erfolge vorweisen zu können. Der Jüngste sei bei seiner Festnahme
17, der Älteste 80 Jahre alt gewesen.
Ich denke an meinen Besuch beim früheren Botschafter der Taliban
in Pakistan, Mullah Zaeef. Er war 2001 durch seine
Fernsehattacken gegen die US-Invasion weltweit bekannt geworden. In seiner
ärmlichen Wohnung erzählte er mir, nach dem Sturz der Taliban
sei er ins US-Gefängnis Bagram gebracht worden. Dort
habe man ihn gezwungen, sechs Tage lang zu stehen - an Händen und Füßen
gefesselt, ohne Schlaf, ohne Essen, ohne Trinken. Immer wenn er eingenickt sei,
hätten die amerikanischen Wachsoldaten laut gegen leere Blechbehälter
geschlagen. Einmal habe man ihn mitten im Winter so lange nackt in den eisigen
Schnee gestellt, bis er bewusstlos zusammenbrach. Er sei getreten und so lange
mit Gewehrkolben geschlagen worden, bis seine Schulter zersplitterte. Nach fünf
Monaten Bagram sei er gefesselt nach Guantánamo geflogen worden. Vier Jahre später habe man
ihn entlassen - ohne Entschädigung und ohne Begründung für seine lange Haft.
In Afghanistan weiß jeder, was Afghanen in Bagram und
Guantánamo erlebt haben. Jeder hat die
Rambo-Auftritte der US-Eroberer schon einmal erlebt. Jeder hat hundertfach im
Fernsehen Bilder totgebombter Frauen und Kinder
gesehen - und anschließend die Behauptung der Militärsprecher gehört, es habe
sich um Taliban gehandelt. Ist es wirklich
erstaunlich, dass sich jetzt viele Afghanen in ihrer Wut, Enttäuschung und
Verzweiflung wieder den Taliban, diesen gnadenlosen,
aber wenigstens afghanischen Terroristen zuwenden?
(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 07.09.2008)
Ebenfalls eine gut recherierte Analyse in Elsässers Buch
zusammengefasst.
"Es geht nicht um Verschwörung - es geht um
Krieg!"
Hervorhebungen von mir.
mfG MMH
http://www.jungewel
08.09.2008 / Politisches Buch / Seite 15Inhalt
Inszenierter Terror
Bin Ladens Islamisten
oder Schäubles Maulwürfe? Jürgen Elsässer
widerspricht der offiziellen
Verschwörungstheorie
Von Rüdiger Göbel
Möglichst große Fässer für den Sprengstoff: Die Chemikalien der
»Sauerland-Bomber«
Foto: AP
Pünktlich zum siebten Jahrestag der Anschläge in New York und Washington
legt Jürgen Elsässer ein neues Buch vor. In »Terrorziel Europa«
beschreibt er das »gefährliche
Doppelspiel der Geheimdienste« bei den
Attentaten und angeblichen Anschlagsversuchen von »Islamisten«
in Europa
in den letzten 13 Jahren. Selbst politisch Interessierte haben
mittlerweile Schwierigkeiten, bei dem Themenkomplex den Überblick zu
wahren, vergeht doch seit dem verheerenden Bombenterror in Madrid im
März 2004 und in London im Juli 2005 kaum ein Monat, in dem die
Sicherheitsbehö
auslösen.
Akribisch trägt Elsässer Widersprüche zu den offiziellen Darstellungen
zusammen. Er zeigt auf, in »fast
allen Fällen spielten Agenten oder
V-Mäner von Geheimdiensten eine tragende Rolle«. Mit
anderen Worten:
»Kein einziger dieser Morde oder
Mordversuche hätte ohne die Mithilfe
der Staatssicherheit unternommen
werden können.« Der islamische
Fundamentalismus sei zwar eine
Realität, konstatiert Elsässer, doch sein
»terroristisches Potential ist eine
Leihgabe vor allem der
US-amerikanischen und britischen
Geheimdienste, die Europa auf diese
Weise immer tiefer in ihren
weltweiten Krieg verstricken wollen«.
Verdeckte Operationen
Es ist ein über weite Strecken rasantes Buch, ein Politkrimi
par
excellence. Elsässer fügt Puzzleteil an Puzzleteil,
Indizien und harte
Fakten, die die offizielle Verschwörungstheorie über die Omnipräsenz
und
Allzeitgefahr Al-Qaidas ad
absurdum führen. Der Autor erinnert an die
Unterstützung Osama bin Ladens durch den Secret Service in den 80er
Jahren und die massive Aufrüstung arabischer Mudschaheddin im bosnischen
Bürgerkrieg. In dem Balkandörfchen Bocinja trafen
Mitte der neunziger
Jahre die wichtigsten Männer zusammen, die später in Mitteleuropa zum
Dschihad antreten sollten. Ob von London aus, von
Madrid, Paris oder
Ulm, immer wieder führen die Spuren nach Bosnien, wo die US-Söldnerfirma
MPRI im Kampf gegen die Serben ab 1993 islamistische
Brigaden ausbildete.
Elsässer faßt in einem Kapitel die verdeckten
Operationen zusammen, die
von der NATO-Geheimarmee
Gladio im Kalten Krieg
durchgeführt wurden –
allein bei Anschlägen in Italien wurden dabei mehr als 460 Menschen
ermordet–, und er skizziert, wie diese systematische Untergrundarbeit
nach »9/11« fortgesetzt wurde. Mittlerweile
richtet sie sich nicht mehr
gegen den kommunistischen Feind im
Osten, sondern den islamistischen
global. Die italienische
Justiz etwa hat wegen der Verschleppung Abu
Omars im Februar 2003 und anschließender Folter in Ägypten 26
CIA-Agenten und 13 Italiener, darunter sieben Mitglieder des
Militärgeheimdienste
des SISMI, Marco Mancini, packte im Gefängnis aus. Er
berichtete über
die Existenz einer geheimen Sondereinheit aus CIA-Leuten und
handverlesenen SISMI-Agenten, die an den
italienischen Institutionen
vorbei und unter Mißachtung der Gesetze gebildet
worden war. Elsässer
betont: »Diese dramatische Entwicklung gibt es freilich nicht nur in
Italien.«
Offizielle Versionen
Auch die bisher bekannt gewordenen Fakten über die
Verfolgung des Khaled
Al-Masri lassen viele Fragen offen. Elsässer spricht
in diesem
Zusammenhang von einem »Martyrium und Mysterium« und mutmaßt, daß der
Ende 2003 in Mazedonien verhaftete und anschließend auf einen
US-Stützpunkt in Afghanistan weggesperrte Ulmer wohl
als Spitzel wider
die Islamistenszene seiner Heimatstadt gewonnen
werden sollte. »Weil die
Doppelstadt Ulm/Neu Ulm seit Ende der
neunziger Jahre vom
Verfassungsschutz gezielt zu einem
›Honigtopf‹ aufgebaut wurde, um
militante Islamisten
anzulocken, auch als Rekruten für die Dienste.«
Auch in Sachen Kofferbomber von Köln, »Sauerlandgruppe« um
»Terror-Fritz« und Anschlagsversuch auf den Strasbourger Weihnachtsmarkt
meldet Elsässer Widerspruch zur staatlich verbreiteten
Verwörungstheorie. In allen Fällen waren »Stümper«
und »Dilettanten« am
Werk, deren Spur jeweils zu den Diensten führt. Der Autor erinnert
daran, daß alle gesetzlichen Verschärfungen der
letzten Jahre im
Windschatten großer Terrorplots mit Geheimdiensthinterg
wurden. »Die ‚Otto-Kataloge’ wurden als Lehre aus dem 11. September 2001
ausgegeben, die Vorratsdatenspeiche
und die gemeinsame Antiterrordatei als Konsequenz aus dem
Anschlagsversuch der sogenannten Kofferbomber 2006
verkauft. Nach den
Festnahmen in Oberschledorn im September 2007 kam der
nächste Streich.«
Und Bild-Kolumnist Franz Josef Wagner hetzt: »Wir werden uns in Zukunft
daran gewöhnen müssen, niemandem zu vertrauen. Weder dem braven
Asylstudenten, dem Dönerkoch und dem Kellner mit seinen arabischen
Augen. Es bereitet mir Unbehagen, meine Freunde von gestern zu umarmen.
Ali in der Paris-Bar, Muhamad in der Döner-Kneipe.
Haben sie zwei
Gesichter? Ich habe Angst vor ihren Augen. Ich weiß nicht, wo sie nachts
hingehen und beten. Ich weiß überhaupt nichts von meinen muselmanischen
Mitbürgern.«
Das Bizarre: Je weniger eine
terroristische Struktur unter den hiesigen
Moslems nachgewiesen werden kann, um
so mehr gilt das als Beweis für die
von ihnen ausgehende Gefahr.
»Das ist die Feinderklärung
an eine
inländische religiöse Minderheit, wie man sie seit den dreißiger Jahren
nicht mehr gelesen hat«, spitzt Elsässer zu. Das Dramatische: Nicht
einmal Linke wehren sich dagegen. Islamisten haben
keine Lobby. Ihre
Prozesse finden praktisch ohne Öffentlichkeit statt. Elsässers Buch ist
als eine Art Enzyklopädie aller »islamistischen« Anschläge und
Anschlagsversuche in Europa ein
erstes Korrektiv.
Jürgen Elsässer: Terrorziel Europa - Das gefährliche Doppelspiel der
Geheimdienste. Residenz Verlag, St.Pölten/Wien 2008,
325 Seiten, 21,90
Euro * ISBN 9783701731008. ab 11. September im Buchhandel,
Buchvorstellungen: 15. September, Wien, Buchhandlung Kuppitsch,
Schottengasse 4, 19.30 Uhr; 17. September, Berlin, ND-Gebäude,
Franz-Mehring-