Guten Tag Herr Hanel
Ich danke Ihnen vielmal für Ihr Entgegenkommen!
Hier die Fragen:
1. Hier
stellt sich natürlich als Erstes die Frage, ob der Glaube eher als eine
Migrationsunterstützung oder als ein Hindernis fungiert.
Was würden Sie allgemein darüber sagen?
Diese Frage ist mir vorallem im Zusammenhang mit dem
Eintreffen wichtig, also wenn die Migranten gerade neu in die Schweiz migrieren
sind und wahrscheinlich noch keinerlei soziale Kontakte haben.
In erster Linie ist jeder Glaube unabhängig von Migration – wenn man mal davon absieht, dass eigentlich jede Religion ein Wegwenden vom Diesseits und eine Hinwendung zum Jenseits, also ein Auswandern vom materiell überbestimmten Reich ins Reich des spirituell Geistigen darstellt und befürwortet.
Der Glaube festigt das Selbstverständnis des Individuums und somit auch seine Position gegenüber seiner Umwelt, seinem sozialen Umfeld. Somit ist es nur verständlich, dass, wenn man sich in unbekanntes Gebiet begibt, welches nicht nur aufgrund der Fremdheit natürliche Unsicherheit erzeugt, sondern mitunter sogar feindschaftlich oder zumindest nicht mit angenehm empfundener menschlicher Zuneigung interagiert – man sich auf sicheres "Territorium" = der identitätsstiftende Bereich des spirituell, Religiösen zurückzieht.
Somit ist nicht die Anzahl (keinerlei oder vielerlei) der sozialen Kontakte maßgebend, um der Religion überdurchschnittliche Bedeutung zu gewähren, sondern die Qualität der Kontakte, welche jene soziale Geborgenheit vermitteln, um ein lebenswertes Leben zu erleben.
Daher steht es hier mit dem Glauben so wie mit allen Dingen – welche bekanntlich mindestens 2 Seiten haben. Was für den einen Nutzen birgt, eine Unterstützung – ist für den anderen ein störendes Hindernis.
Glaube fungiert also nicht als Unterstützung ODER Hindernis – sondern SOWOHL als Unterstützung, WIE auch als Hindernis!
Diese allgemeine Erkenntnis, ist also der erste Schritt für eine zu
gelingende Kooperation zwischen jenen Parteien, welche am Migrations- und
Integrationsprozess beteiligt sind.
2. Bringen
religiöse Bräuche oder Feste, wie zum Beispiel der Ramadan ein grosses Zugehörigkeitsgefühl in der Gemeinschaft mit sich?
Ganz klar ist der religiöse Ritus ganz allgemein und somit religiöse Feste im
speziellen die Gemeinschaft festigende Elemente – wobei allerdings
Unterschiedlichkeiten in der Ausführung oder gar im Datum, einigende Wirkungen
nicht nur aufzuheben, sondern ins Gegenteil zu verkehren vermögen. Ein weites
Betätigungsfeld für die Feinde der Religion.
3. Wie sieht
die Identifikation durch die Religion aus, gibt es viele Migranten, die sich
durch den moslemischen Glauben identifizieren und so einen Halt finden?
Siehe die grundsätzliche Antwort zu Ihrer ersten Frage. Und es mag noch
angefügt werden: je feindseliger, je abstoßender sich das Umfeld gibt, umso
mehr werden die internen, einander anziehenden Kräfte zu Wirksamkeit gedrängt.
Ist die
Religionszugehörigkeit wichtiger als das Nationalgefühl?
Nationalität oder politische Heimat ist für viele, wenn nicht sogar die meisten Menschen auf der Welt, auch für Muslime oft weit wichtiger, wie die verbindliche und verbindende übernationale Brüderlichkeit im Islam.
4.
Einerseits finden, durch ein Ort wie in Ihrem Fall die Moschee, die Migranten
zu ihren Glaubensbrüdern bzw. Schwestern. Aber anderseits kann das ja auch
wieder zu einer Isolation von den Schweizern führen.
Wie sehen sie das?
Ja – so kann das sein, wenn, wie oben schon erläutert, das soziale Umfeld außerhalb der spirituellen "Zufluchtsstätte" als kalt, unfreundlich, überheblich, ungerecht oder dergl. empfunden wird.
Es muss aber nicht so sein,
wenn – dieses empfundene Unwohlsein sich in "normales" menschliches
Miteinander wandelt. Denn letztlich ist keine menschliche Gesellschaft
"perfekt" – ob deren Mitglieder nun einer oder mehreren religiösen
Gemeinschaften angehören. Der Schlüssel zum Verständnis ist das umfassende
Verständnis von "Gelassenheit" und die verständnisvolle Umsetzung
derselben. Das Schloss, welches das Tor zu solcher verträglichen, friedfertigen
menschlichen Gesellschaft entweder öffnet oder verschlossen hält, kann
"Sicherheit" genannt werden. Sicherheit in rechtlicher und sozialer
Hinsicht.
5. Werden
gläubige Migranten von den Glaubensgemeinschaften aktiv finanziell unterstützt?
Beim Moslemischen Glauben könnte zum Beispiel die Armensteuer dazu genutzt
werden. Findet das statt?
Wie sieht die persönliche Hilfeleistung
(finanziell, materiell mit Essen, Unterstützung in der Arbeitswelt,
Wohnmöglichkeit, u.s.w) unter den Mitgliedern aus?
Im Rahmen der engen Möglichkeiten werden Migranten unterstützt.
Die islamische Vermögenssteuer oder Zakat wird hierzulande nicht eingehoben – es sei denn möglicherweise in ganz privatem Kreis.
Die persönliche Hilfestellung ist im Wesentlichen auf Beratung hin ausgerichtet – was natürlich auch in Bezug auf Arbeitsstellen oder Unterkunft Auswirkungen haben kann.
6. Führt das
andere Gottesbild, dass ein Moslem, verglichen mit einem Schweizer, hat, zu
Gesellschaftlichem Unverständnis oder Spannungen? Wenn ja zu welchen konkret?
(Natürlich hat nicht jeder Schweizer das gleiche Gottesbild, aber
wahrscheinlich doch ein anderes als ein Moslem)
Mit Ihrer Relativierung im Klammersatz haben Sie ja klar gemacht, dass
diese Frage nicht einfach so, allgemein gültig beantwortet werden kann.
Dennoch eine kurze Antwort versuchend, möchte ich bemerken, dass primär
nicht ein unterschiedliches Gottesverständnis die Menschen nicht miteinander
auskommen lässt, sondern ganz andere, auf's Irdische
hin ausgerichtete Begehrlichkeiten.
7. Allgemein
können Sie sich viele Situationen vorstellen, wo es mit Schweizern zu
Spannungen kommen könnte durch die andere Mentalität, b.z.w.
andere Religion?
(Frauenbild, Moralvorstellung,..)
Ich kann mir vorstellen, dass JEDE Situation Anlass zu Spannungen zu geben
vermag. Dies aber nicht deshalb, weil, grob gesagt, ur-
christliche oder vernünftig-säkulare Vorstellungen mit wirklich islamischen
Vorstellungen kollidieren, sondern weil sich die Mitglieder der genannten
gesellschaftlichen Gruppen nicht nur oberflächlich mit den wahren Werten der
eigenen Religion oder Verfassung auseinander gesetzt haben, sondern noch weit
weniger mit der Religion und Verfassung der vermeintlichen Gegner.
8. Im
Koran wird ein Muslim dazu aufgefordert ein guter Bürger zu sein.
Ich denke Sie werden mir zustimmen, wenn ich sage, dass sich ein aufrichtiger
Moslem dem Koran verpflichtet fühlt.
Nehmen wir an, es komme zu einem Konflikt zwischen staatlichen
Gesetzgebung und dem Koran, welcher Sache ist Ihrer Ansicht nach nun ein Moslem
verpflichtet?
Im Qur'an wird der Muslim aufgefordert, ein guter Mensch und somit Mitmensch, resp. Mitbürger zu sein, einer, welcher einsieht, dass er als Geschöpf dem Schöpfer untergeben ist und deshalb möglichst respektvoll mit aller Schöpfung umzugehen und möglichst friedfertig über diese Erde zu wandeln hat.
Einer der wesentlichen Eigenschaften welcher ein Muslim zu entwickeln hat, ist die Gesetzes- und Vertragstreue zu freiwillig eingegangenem Bündnis.
Die von Ihnen gestellte Frage ist eine, welche die Muslime nicht mehr oder weniger betrifft, als die Menschen anderer Religionen, Staatsbürgerschaften oder irgendwelcher Bündnispartnerschaften und muss daher von jedem Individuum für sich selbst und für eine bestimmt Situation beantwortet werden. Dies umso mehr, als jedenfalls die Muslime in der Schweiz über keine natürliche oder rechtliche Körperschaft verfügen, welche in ihrem Namen zu sprechen befugt wäre. Die Geschichte zeigt uns darüber hinaus, dass die Gläubigkeit an sich noch kein Volk, keine Gemeinschaft je abgehalten hat, die schlimmsten Kriege gegeneinander zu führen (europäische Religionskriege), noch grausamste Vernichtungskriege gegen andere Ethnien (Indianer, Juden) oder säkulare, christlich-jüdisch geprägte Gesellschaften gegeneinander (Weltkriege) oder muslimische Gesellschaften gegeneinander (Irak-Irankrieg).
Der alte Konflikt, die alte Frage – wer denn nun der Herr der Welt wäre, der "Papst" oder der "Kaiser" wurde in der Geschichte schon mehrfach beantwortet … wurden diese Antworten je zur Kenntnis genommen und berücksichtigt?
Mai, 2011
Mit keiner dieser Fragen, wollte ich Sie verletzen und ich entschuldige mich, wenn
ich nicht die angemessenen Formulierungen gefunden habe.
Ich danke Ihnen, dass Sie sich Zeit genommen haben.
Mit freundlichen Grüssen
Benjamin Müller